Geboren 1970 in Breslau, Polen. Emigrierte 1989 nach Westdeutschland. Studierte von 1995 bis 2002 an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg und an der HKU University of Arts in Utrecht, Niederlande. Im Jahr 2010 emigrierte er nach Costa Rica. Lebt und arbeitet in Berlin, Breslau und Mittelamerika.

Über den Künstler

von Hartmut Dorgerloh

Die Motive meines Bildes nichts, sein Wesen alles,
Ein Bild für sich, den andern nicht verwandt,
dem Intellekt nicht verschlossen, –
Du aber, unausgesprochenes Geheimnis, wirst jedes Bilddurchblicken.
(frei nach Walt Whitman für Paul)
Biografisch soll es nicht sein – dabei ist Paul Erdmann so ein überaus faszinierender Mensch. Und auch keine Beschreibungen zu seinen Gemälden – dabei laden sie oft dazu ein, Worte zu suchen für das, was die Sinne erreicht. Manchmal fehlen sie einem, manchmal springen sie einem wortwörtlich ins Auge und manchmal kommen sie einem erst nach langem Schauen in den Sinn. Oder sie verändern sich, verästeln sich in andere Übersetzungen oder gehen auf Wanderschaft. So auch in diesem Text.
Und was, wenn man seinen Augen nicht mehr zu trauen vermag, wenn die Motive des Bildes nichts, sein Wesen aber alles ist? Schlagen all seine bildgewordenen Ambivalenzen und Ambiguitäten dann wie eine Welle über einem zusammen und tragen einen ungestüm fort?
Einer der zwölf Wächter der Götter, so sagt es die Dichtung der Edda, hatte eine so starke Sinnesschärfe, dass er die Wolle auf den Schafen und die Grashalme aus der Erde wachsen hörte.

Und die Malerei von Paul Erdmann?

Hier finden sich all die Götter, die Menschen, die Dichtungen, die Fauna und die Flora wieder, in anderen Übersetzungen und oft auf Wanderschaft. Sinnesschärfe – was für ein beziehungsreiches, aus der Mode gekommenes Wort. Aber Moden interessieren ihn ohnehin nicht.
Dafür mit allen Sinnen nachspüren – dem Vogel und dem Baum, der Wolke und dem Fluss, dem Staunen und den Krisen, den Flüchen und Fluchten, dem Zebra und dem Pinguin, dem Scheitern und dem Glück. Und zentral wir Menschen: allein, zu zweit, selten zu dritt. Und dafür Bilder und Räume schaffen. Bildräume.
Überhaupt der Raum: in der Regel frontal, mal Manege, mal Weltenrund, mal ganz nah dran und dann wieder ganz weit, mal Bühne und mal Grenze. Hier spielt sich alles ab, sinnesscharf. Die Zuneigungen und Zerwürfnisse, die Unsicherheiten und das Zupackende ebenso wie das Verstörende und von Trauer Bedrückte. Hier wird gerungen und gefeiert, gehadert und geholfen. Wo andere das Herz auf der Zunge tragen, verpuppt es sich hier in Bildern. Immer wieder. Immer wieder anders. Immer wieder anders neu. Immer wieder anders neu zu sehen.
Und die Farben werfen Schatten.
Nicht nur in jedem anderen Licht oder in einem anderen Raum, in einem nächsten Jahr oder in einer anderen Welt, diese Bildfindungen und Bildräume machen immer wieder neue und andere Sinnesschärfungen möglich. Wie beim Wachsen des Grashalms. Man hört diese Kopfbilder immer wieder neu, man schmeckt diese Bauchbilder immer wieder anders und man riecht sich dabei selbst wie in einem Spiegel.
Diese Bilder sind ebenso persönlich wie politisch – im Sinne von anteilnehmender Zeitgenossenschaft. Wie die Wächter der Götter. Die Welt bleibt eben gerade nicht draußen vor und dem Intellekt nicht verschlossen. Sinnesschärfung bleibt gefragt, für die kleine Geste wie für die großen Zusammenhänge. Die Bilder sind beteiligt. Der Maler ebenso.
Hartmut Dorgerloh